Arbeitsrecht

06.12.2025

Arbeitsrecht ist kein Recht des subjektiven Empfindens und das ist gut so.

Im Arbeitsrecht ist nicht entscheidend, wie ein Sachverhalt subjektiv erlebt wird, sondern ob er innerhalb der geltenden gesetzlichen und gerichtlichen Vorgaben rechtlich bewertet werden kann. Diese Vorgaben wirken oft formal und komplex. Sie sind jedoch über Jahre hinweg entstanden und Ausdruck eines objektivierten Gerechtigkeitsverständnisses.

So mancher kommt mit der festen Überzeugung in die Beratung, das Ergebnis einer rechtlichen Bewertung sei falsch oder untragbar. Das subjektive Empfinden bis hin zur Empörung ändert daran nichts. Das Arbeitsrecht entscheidet nicht nach Gefühl, sondern nach Regeln.

Diese Regeln wirken auf den ersten Blick häufig komplex und intuitiv schwer nachvollziehbar. Sie sind das Ergebnis jahrzehntelanger Entwicklung durch Gesetzgebung und Rechtsprechung. Immer wieder wurden sie angepasst, präzisiert und fortentwickelt, um typische Konfliktlagen verlässlich zu erfassen. Ihr Sinn erschließt sich oft erst bei näherer Betrachtung. Dann wird deutlich, dass sie Vorhersehbarkeit, Gleichbehandlung und Rechtssicherheit gewährleisten sollen.

Gerade im Kündigungsschutz zeigt sich dies besonders anschaulich. Es geht stets um den konkreten Einzelfall. Dessen Erfassung und Beurteilung erfolgt jedoch innerhalb eines festen Rahmens gewachsener Regeln. Maßgeblich ist, ob die rechtlichen Voraussetzungen eingehalten wurden, etwa Beteiligung der Arbeitnehmervertretung, Einhaltung von Fristen, Tragfähigkeit des Kündigungsgrundes und korrekte Verteilung der Beweislast. Subjektive Betroffenheit oder Empörung ändern an dieser Struktur nichts.

Gerichte sind dabei nicht dazu berufen, persönliche Betroffenheit nachzuempfinden oder nachträglich auszugleichen, was als ungerecht erlebt wird. Ihre Aufgabe ist es, die geltenden Regeln anzuwenden und fortzuentwickeln. Gerade diese Bindung unterscheidet Rechtsprechung von spontaner Bewertung.

Gerichtliche Entscheidungen entstehen aus der Abwägung mehrerer Sichtweisen. Arbeitgeberinteressen und Arbeitnehmerschutz stehen sich gegenüber und werden in ein strukturiertes Verhältnis gesetzt. Recht ist in diesem Sinne stets Ausdruck dialektischen Denkens. Ein Fall wird aus mehreren Perspektiven betrachtet und zu verallgemeinerungsfähigen Maßstäben verdichtet. Persönliches Erleben kann Ausgangspunkt eines Konflikts sein, ist aber nicht sein Maßstab.

Auch die vielfach kritisierten Formalismen haben in diesem System einen eigenen, tieferen Sinn. Anhörungspflichten, Fristen, Formvorgaben und Begründungserfordernisse sind keine Schikanen. Sie schaffen Klarheit, verhindern Überrumpelung, sichern Beweisbarkeit und strukturieren Verfahren. Sie sind verdichtete Erfahrung und Ausdruck rechtlicher Fairness auf systemischer Ebene.

Von dort ist es oft nur ein kurzer Schritt zu dem häufig zitierten Satz, vor Gericht bekomme man zwar Recht, aber keine Gerechtigkeit, oder zu der Behauptung, Recht und Gerechtigkeit seien nicht dasselbe. Solche Formeln hört man auffällig häufig von Prozessverlierern oder von denen, die bereits vorab erkennen, dass ihre rechtliche Position schwach ist. Sie bringen weniger eine analytische Kritik am Rechtssystem zum Ausdruck als vielmehr das Gefühl, im eigenen Empfinden nicht bestätigt worden zu sein.

Tatsächlich verkennen diese Aussagen, dass die geltenden Regeln selbst Ausdruck eines Gerechtigkeitsverständnisses sind, allerdings nicht im subjektiven, sondern im objektivierten Sinne. Rechtliche Gerechtigkeit entsteht nicht durch situatives Empfinden, sondern durch allgemeine, abstrakte und für alle geltende Maßstäbe. Gerade weil Gerichte sich an diese Maßstäbe halten, kann Recht überhaupt als gerecht empfunden werden, also unabhängig von der Perspektive des Einzelfalls.

Wer also das Arbeitsrecht auf subjektives Empfinden reduziert, wird es regelmäßig falsch einschätzen. Wer seine Struktur versteht, kann den Einzelfall wirksam gestalten.

 

Gerhard Greiner

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht