Arbeitsrecht

30.06.2020

Anspruch auf entgangenen Urlaub nach Entlassung - EuGH-Urteil vom 25.06.2020

Wer rechtswidrig entlassen wurde, kann nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Anspruch auf womöglich entgangenen, bezahlten Jahresurlaub haben (Urt. v. 25.06.2020 Az.C-762/18 und C-37/19).

So jedenfalls die Meldung, wie sie so oder so ähnlich durch die deutsche Presse ging.

Jetzt könnte man auf den Gedanken kommen, dass das in Deutschland bislang anders gewesen wäre. Stimmt aber nicht. Nach deutschem Recht war es schon immer so, dass ein Mitarbeiter, dem zu Unrecht gekündigt worden ist, seinen Urlaubsanspruch ungekürzt behielt. Für Deutschland ändert dieses EuGH-Urteil also nichts.

Wie kommt es dann zu diesem EuGH-Urteil und was steckt dahinter?

Hintergrund dieser EuGH-Entscheidung war die Kündigung einer Angestellten in Italien und einer Angestellten in Bulgarien. Die beiden Fälle „spielten“ sich also nicht in Deutschland ab und waren auch nicht nach deutschem (Arbeits-)Recht zu beurteilen.

Diese Feststellung ist ebenso banal wie wichtig. Denn auch innerhalb der EU unterscheidet sich das Arbeitsrecht der einzelnen Länder stark voneinander. Dies gilt vor allem für das Kündigungsrecht.

Um nun das EuGH-Urteil zu verstehen, muss man zwei grundsätzlich unterschiedliche Ansätze im Kündigungsrecht der EU-Länder kennen.

So hat nach deutschem Recht eine "unberechtigte" Kündigung deren Unwirksamkeit zur Folge. Und dies wiederum hat zur Folge, dass das (zunächst gekündigte) Arbeitsverhältnis nie beendet worden ist, sondern ununterbrochen fortbestanden hat und fortbesteht. Bei einem Arbeitsverhältnis aber, das nicht beendet worden ist, bleibt logischerweise auch der Urlaubsanspruch ungekürzt bestehen.

Beispiel:

Die Dubiosa GmbH kündigt am 29.06.20 ihrem Arbeitnehmer Max Mustermann das Arbeitsverhältnis zum 31.07.20. Max Mustermann erhebt hiergegen Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht, weil er der Meinung ist, dass ihm die Kündigung zu Unrecht ausgesprochen worden war, sie also unwirksam ist. Der Klageantrag ist ein sog. Feststellungsantrag und lautet: Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten (das ist die Dubiosa GmbH) enden wird bzw. beendet worden ist. Das wäre dann der Fall, wenn die Kündigung unwirksam war. Hierüber muss das Gericht also entscheiden.

Max Mustermann arbeitet noch bis 31.07.20 und anschließend kommt er nicht mehr zur Arbeit, weil ihm ja zum 31.07.20 gekündigt worden ist. Sollte er keine Arbeit finden, so wird er erst einmal Arbeitslosengeld beziehen.

Jetzt muss man aber auch wissen, dass so ein Kündigungsschutzprozess vor dem Arbeitsgericht einige Monate dauern kann, bis das Gericht sein Urteil fällt. Im Beispielsfall könnte das der 15. Januar 2021 sein. Sollte das Gericht zu dem Ergebnis gelangen, dass die Kündigung unwirksam war, wird es der Klage in diesem Antrag stattgeben. Bildhaft gesprochen beseitigt das Arbeitsgericht die Kündigung und man tut so als ob nie eine Kündigung ausgesprochen worden ist. Die rechtliche Konsequenz ist dann eben, dass das Arbeitsverhältnis (quasi rückwirkend) nie beendet worden ist. Die Dubiosa GmbH müsste Max Mustermann die rückständige Vergütung für die Zeit vom 01.08.20 bis zum 15.01.21 nachbezahlen (sog. Annahmeverzugslohn). Wichtig aber im Zusammenhang mit dem Urlaub: Max Mustermann behält ungekürzt seinen Urlaubsanspruch auch für die Zeit vom 01.08.20 bis 15.01.21 obwohl er in dieser Zeit nicht mehr für die Dubiosa GmbH gearbeitet hat.

Daher ist das Urteil des EuGH für Deutschland ohne Relevanz.

Einen anderen rechtlichen Ansatz verfolgen Länder wie Frankreich oder Italien oder auch Bulgarien.

In diesen Ländern ist es so, dass eine Kündigung wirksam bleibt, auch wenn sie unberechtigt war. Zwar kann der Arbeitnehmer ebenfalls gerichtlich gegen eine solche Kündigung vorgehen. Sollte er erfolgreich sein, bekommt er aber nur einen Anspruch auf Wiedereinstellung beim alten Arbeitgeber (mit Wirkung für die Zukunft). Für die Zeit vom 01.08.20 bis 15.01.21 (um im Beispielsfall zu bleiben) wäre es so, dass – anders als nach deutschem Recht – ein Arbeitsverhältnis nicht bestanden hätte. Und genau in diesem Fall stellt sich dann die Frage, was eigentlich mit dem Urlaubsanspruch vom 01.08.20 bis zum 15.01.21 ist. Geht er verloren oder bleibt er erhalten? Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 25.06.2020 bliebe er erhalten.

Das EuGH-Urteil kommt im Ergebnis sehr unscheinbar daher. Aus deutscher Sicht kann man es eigentlich erst verstehen, wenn man sich klar macht, dass in anderen europäischen Ländern die Rechtsfolgen einer unrechtmäßigen Kündigung auf einem anderen rechtlichen Denkansatz beruhen als in Deutschland.

 

Gerhard Greiner

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht